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ESPI on site: Lars Müller Publishers auf der TYPO 2012

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Lars%20Mueller1Foto: Christine Wenning

„Nachhaltigkeit – ich mag das Wort nicht mehr hören“ ... so startet Lars Müller seinen Vortrag „Das Buch – Nachhaltig „avant la lettre“ auf der Typo Berlin 2012. Sie sei die Komplizin des schlechten Gewissens. Für ihn erscheint dieser heute inflationär benutzter Begriff scheinheilig im Angesicht des Raubbaus an der Natur und des uneingeschränkten Kapitalismus’. Nachhaltig zu leben liegt in der Eigenverantwortung der Menschen – und niemand dankt es einem, wenn man versucht weniger Fleisch zu essen oder Auto zu fahren.

Nachhaltigkeit und Gestaltung?

Der in den 60ern geborene Schweizer hat dazu eine kritische Haltung: „Unsere Disziplin gibt keine Leitung mehr zur Welterklärung und Lebensführung." Gestaltung sei ein Mittel zur Selbstdarstellung der Medienindustrie geworden. Nachhaltigkeit in der Gestaltung ist Luxus, da es sich kaum ein Gestalter leisten kann, darüber nachzudenken, was und wie er produziert, geschweige denn den Sinn zu hinterfragen oder gar den Auftraggeber. Dennoch sollten Gestalter sich einmischen und auch politisch engagieren.

Lars-Mueller2Foto: Christine Wenning

Lars Müller wurde 1983 aus seiner bibliophilen Leidenschaft heraus als Verleger tätig und musste anfangs seinen Verlag mit Hilfe seines Büros für visuelle Kommunikation und Design am Leben erhalten. Dabei entstanden Erscheinungsbilder, Orientierungssysteme und Kommunikationskonzepte für sympathische Auftraggeber. „Die Anfänge waren naiv, aber ehrlich“ – Biobauern, Umweltbewegung, Kulturradio, Weinhändler etc. – und spiegelten seine politische Haltung wieder.

„Stellen Sie Ihren iPod leiser. Schalten Sie den Rechner ab. Denken Sie. Welche Bedürfnisse haben die Menschen und welchen Beitrag können Sie leisten? Lernen Sie die Menschen zu verstehen. Beobachten Sie Ihr Umfeld. Beobachten Sie sich selbst. Beißen Sie sich an einem Thema fest. Verschaffen Sie sich Kompetenzen und holen Sie Partner heran, die dasselbe Engagement teilen.“

Lars-Mueller3Foto: Christine Wenning

Nachhaltigkeit und Bücher?

Dazu hat Lars Müller eine klare Position: „Das Buch halte ich in jeder Hinsicht für nachhaltig.“ Heute gebe man sich viel Mühe: klimaneutrale Produktionsprozesse, chemische Stoffe durch nachhaltige ersetzen. Doch ist das Buch nachhaltiger als digitale Medien. Heute verbrauchen iPad, iPhone, Computer und das Internet acht Prozent der weltweiten Energie. Das Buch hat, wenn es produziert ist, keinen weiteren Verbrauch an Energie und Ressourcen. Den digitalen Medien lässt Lars Müller jedoch auch ihre Gültigkeit. Denn im Vergleich zum Buch sei die „Verfügbarkeit von Inhalten im Internet unbegrenzt“. 

„Doch die Konsistenz des Inhaltes eines Buches können Sie im Internet nicht finden.“ Gut editierte Bücher haben lange Gültigkeit und sind da, sind Zeitzeugnis und Dokument. Die Schnelllebigkeit der digitalen Medien erlaubt es nicht, eine tiefer gehende Recherche zu betreiben und Quellen zu prüfen. Zudem kommt die Materialität: Das Haptische, der Geruch, die Farbe, der Druck, das Papier, der Schnitt strahlen eine hohe Präsenz aus. Das Buch möchte man besitzen und behalten.

Bücher aus dem Lars Müller Publishers Verlag

Neben Büchern über Architektur und Design, die einige Designpreise sowie den Titel „Die schönsten Bücher“ der Schweiz, Deutschlands und international gewonnen haben, bewegt Lars Müller sich einen Schritt weg von der Welt des Schönen. Gesellschaftliche Themen gehören zum Programm des Verlages: „Ich mache einen Schritt hinaus aus der Welt des Schönen.“

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Das Bild der Menschenrechte

Das rund 700 Seiten starke Buch veranschaulicht den abstrakten Inhalt mit einer umfassenden Bildersammlung und eingewobenen Texten. Die Themen bauen aufeinander auf und bilden damit eine Parallele zu den Menschenrechten, die einander bedingen. Dabei werden neben hoch emotionalen, erschütternden Bildern von Opfern der Nichteinhaltung der Menschenrechte, im Kontrast dazu auch Situationen aus unserem Alltag, die diesen Menschen verwehrt bleibt, gezeigt. Und das nicht wie auf übliche Weise reißerisch und brutal, sondern einfühlsam. Dieses Buch leistet einen nachhaltigen Beitrag, schafft Bewusstsein für das Thema, Aufklärung und Solidarität.

„Man muss es verstehen, um es gestalten zu können.”

Ausgehend vom „Bild der Menschenrechte“ entstanden nachfolgende Bücher wie „Wem gehört das Wasser“. Die Anthologie beleuchtet die Eigenschaften des Wassers – ästhetisch, phänomenologisch, biologisch, physikalisch, politisch, ethisch. „Das Wasser verfügt über fantastische Eigenschaften. Die Wissenschaftler können es sich immer noch nicht vollständig erklären“, erzählt Lars Müller. Erschienen ist dieses Buch 2006. Seit 2010 wurde der Zugang zu Wasser als eines der Menschenrechte deklariert.

Für Lars Müller ist es die Aufgabe des Gestalters, komplexe Dinge visuell verständlich zu machen. Mit seinem Verlag leistet Müller einen ganz persönlichen Beitrag zu Nachhaltigkeit und gibt ein eindrucksvolles Statement über unsere Verantwortung als (Buch-)Gestalter ab: Nachhaltig sind Bücher, die wirken. Nachhaltigkeit hat mit Gestaltung und Inhalt zu tun.

Kommende Buchprojekte des Verlages sind den Themen Demokratie, Abfall und Zeit gewidmet. Man darf also – vor allem als jemand, der selbst mit Design zu tun hat – noch viel erwarten von Lars Müller Publishers.