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Zukunft des Handels, Teil 5: Herausforderungen

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Es scheint, als fielen alle Hemmungen: Wenn wir sogar unsere potentiellen Ehepartner über Dating-Portale im Internet suchen, warum nicht auch online einkaufen? Alles? Wie wir schon im ersten Teil unserer Serie „Zukunft des Handels“ gesehen haben, liegen die Wachstumsraten des E-Commerce denen des klassischen Handels weit voraus: 15,6 versus 1 Prozent.

Selbst im Luxussegment, das als letzte Bastion des Ladengeschäfts galt, sprechen die Zahlen für sich. Die Bereitschaft, Luxusgüter online zu kaufen, hat in den letzten beiden Jahren um 40 Prozentpunkte zugenommen. 2011 haben in einer Umfrage von Inlux, Institut für Luxus, 42 Prozent der Befragten angegeben, exklusive Produkte im Netz zu kaufen. 2013 sind es schon 85 Prozent (Zahl aus Textilwirtschaft 25/2013, S. 30). Beim Online-Juwelier Latest Revival wandern Diamanten-Colliers im Wert von bis zu 120.000 US-Dollar über den Ladentisch, pardon, in den virtuellen Warenkorb. Wer hätte das gedacht?

Trotzdem wird der stationäre Handel nicht kampflos aufgeben, so unsere Prognose – siehe Teil 4 unserer Serie mit dem Titel „Showroming“. Deswegen wollen wir in diesem fünften Teil der Frage auf den Grund gehen, wo die wirklichen Herausforderungen im E-Commerce liegen.

Warum Kunden online kaufen

Auch wenn wir lange angenommen haben, dass im Netz vor allem nach dem günstigsten Preis gesucht wird, ist es nicht nur die Preistransparenz, die dort attraktiv ist. Das britische Fachblatt für die Textilbranche Drapers hat in einer Studie Kunden gefragt, warum sie gerne online einkaufen (Drapers Multichannel Report März 2012). Die Antworten lauten wie folgt:

51,4 Prozent finden den Einkauf online bequemer und praktischer als im Laden,
46,4 Prozent finden das „browsen“ (den virtuellen Einkaufsbummel) einfacher,
44,0 Prozent kaufen wegen des Preises online,
34,5 Prozent schätzen die größere Auswahl im Netz und
13,5 Prozent probieren Kleidung einfach lieber zuhause an.

Im Netz Geld zu verdienen, scheint auf den ersten Blick ein Kinderspiel. Aber ist es wirklich so einfach? Was bei der Beantwortung dieser Frage gerne übersehen wird, fasst Thomas Ramge in seinem Artikel „Von Perlen und Luftblasen“ im Wirtschaftsmagazin brand eins zusammen:

„Im Online-Handel gutes Geld zu verdienen gelingt nur wenigen. Der Preiswettbewerb ist ruinös, die Logistik hochkomplex, und die Retouren der Kunden sind extrem teuer. Amazon gibt es seit 1994 [...], es war das letzte der großen Internet-Start-ups der ersten Generation, die es in die schwarzen Zahlen schafften – und zwar rund zehn Jahre nach Gründung. Selbst die erfolgreichen Online-Händler kommen heute auf magere zwei bis drei Prozent Umsatz-Marge und sind damit keineswegs profitabler als die stationären. Auch im Online-Handel werden die Großen immer mächtiger. Der Kunde sorgt dafür: Wenn man bei Amazon alles günstig und zuverlässig geliefert bekommt, warum sollte man sich noch anderswo registrieren?“

Wer im Netz als David leicht austauschbare Waren anbieten will muss sich also auf starken Gegenwind von Goliath Amazon gefasst machen. Das gibt vor allem Anbietern von Nischenprodukten, die weniger leicht austauschbar sind, eine Chance, von Anfang an in einem globalen Markt mitzumischen. (Einem Mega-Anbieter können in der Theorie viele kleine Anbieter gegenüberstehen, die jeder für sich besondere USPs belegen: Wer der Masse aus dem Weg gehen will und stattdessen Nachhaltigkeit oder Individualität sucht, lässt sich zum Beispiel beim englischen Web-Shop Grannies seine Mütze auf den Leib stricken.)

Aber auch das Besetzen einer Nische ist keine Garantie zum Geld Drucken.

Herausforderungen im Online-Handel

Wo also liegen die Herausforderungen für den Handel im Internet?

1. Einkaufserlebnis

Der Preis ist nicht der einzige Faktor, der Kunden zum Online-Shopping bewegt. Und auch, wenn 46,4% der Befragten in der oben angeführten Studie sagen, dass sie lieber online bummeln als offline, stehen dieser Zahl – zumindest theoretisch und vereinfacht gesehen – immer noch 53,6 Prozent gegenüber, die das lieber in Läden tun. Auch als Online-Händler sollte man also für ein entsprechendes Einkaufserlebnis sorgen.

2. Präsentation

Ein Beispiel für den gelungenen Shopping-Bummel im Netz ist das Portal für hochwertige Damenmode Net-a-porter und sein Pendant für Männer Mr Porter, wo man Editorial Content mit E-Commerce verschmilzt. Als User hat man eher das Gefühl, in einem Magazin zu blättern – aus dem man die gezeigte Ware eben auch bestellen kann –, als sich in einem Online-Shop zu befinden. (Und da sage noch einer, mit Content lasse sich im Netz kein Geld verdienen. Aber das ist eine andere Diskussion.)

3. Retouren

Je besser nämlich die Präsentation der Ware, desto geringer wird das Problem der Retouren ausfallen. Sie stellen eines der größten Probleme im Online-Handel dar (siehe Teil 1 unserer Serie, „Kampf oder Konsens?“). Während man im Laden gleich anprobieren kann, muss der Online-Anbieter dafür sorgen, dass die Präsentation so gut ist, dass Retouren von Anfang an gar nicht erst anfallen. Bei Net-a-porter und Mr Porter sorgen hierfür nicht nur die gelungene Präsentation, die der in Hochglanzmagazinen in nichts nach steht, sondern vor allem auch kurze Filme, die das Kleidungsstück zeigen, wie es aussieht, wenn es getragen wird.

4. Logistik

Deutschen Kunden ist die kostenfreie Lieferung besonders wichtig. Das erwarten 62 Prozent der Befragten einer Studie des EHI Retail Instituts. 44 Prozent erwarten zudem, Ware ggf. kostenfrei zurückschicken zu dürfen. Was an der Studie überrascht, ist das Ergebnis, dass Schnelligkeit nicht zu den obersten Wünschen gehört; sich den Termin und Zustellort flexibler aussuchen zu können, als das bisher im Allgemeinen der Fall ist, jedoch schon. Beim Hermes-Versand plant man daher ein Kundenprofil, in dem der Kunde angeben kann, wann er sich an welchem Ort aufhält, um seine bestellte Ware dann genau dorthin geliefert zu bekommen.

5. Touchpoints

Nicht zuhause zu sein, wenn das Päckchen kommt, um es dann irgendwo mühsam einsammeln zu müssen ist das eine. Die größten Frustrationen für den Kunden im Online-Handel entstehen allerdings dann, wenn tatsächlich mal etwas schief geht. Wir kennen es alle: ein direkter Ansprechpartner fehlt, man wird im Callcenter von einem Mitarbeiter zum nächsten verbunden und weil sich keiner zuständig fühlt, muss man seine Geschichte immer und immer wieder aufs Neue erzählen. Wenn es um Rückerstattungen von Zahlungen geht ist das besonders frustrierend und erweckt Misstrauen.

Wichtig ist, dass das Prinzip „User First“ über alle möglichen Berührungspunkte funktioniert. Nicht Ingenieure und Programmierer sollten bestimmen, welche Produkte auf welche Art und Weise angeboten werden, sondern die Konsumenten selbst – durch ihr Verhalten. Das über alle Touchpoints konsequent zu erreichen, ist in der Praxis jedoch nicht ganz einfach – vor allem für die Händler, die nicht vertikal strukturiert sind (siehe Teil 2 unserer Serie, „Vertikale Integration“).

Wie soll ich meinen unzufriedenen Kunden beispielsweise klar machen, dass sie den online bestellten Pulli nicht in der Filiale in der Innenstadt zurückgeben können? Dass das warenwirtschaftlich getrennte Systeme sind, ist den Kunden erstmal egal und ihre schlechte Stimmung wird sich auf die Wahrnehmung des ganzen Unternehmens oder der Marke niederschlagen. (Ein Grund mehr, die Trennung zwischen online und offline aufzuheben, aber dazu später.)

6. Social Media

Dabei sehen sich Händler und Marken im Zeitalter von Social Media besonderen Herausforderungen gegenüber. Über Kommentarfunktionen, Twitter und Facebook kann sich jeder seinem Ärger ungefiltert Luft machen. Vor Social Media galt die Faustformel, dass unzufriedene Kunden ihre schlechten Erfahrungen an sieben andere Personen weitertragen. Heute ist die Reichweite fast grenzenlos: Zum Beispiel habe ich selbst just meine schlechten Erfahrungen mit einer Fluggesellschaft auf deren Facebook-Seite geteilt. Meine Statusmeldungen lesen meine knapp 500 Facebook-Freunde, und die Seite der Airline hat knapp 1,4 Millionen Fans.

Dabei haben Online-Händler und Kunden heute die besten Möglichkeiten, sich gut zu kennen und nahe zu sein. Denn der entscheidende Vorteil online ist das automatische Sammeln von Daten. Daten, die im stationären Handel nur mühsam über Kundenkarten zusammen getragen werden können (siehe Teil 3 unserer Serie, „Kooperation“), werden im E-Commerce und über Social Media frei Haus geliefert.

Der mobile Handel

Wie wir sehen, bringt also auch der elektronische Handel so seine Probleme mit sich. Trotzdem, das Potential, das darin liegt und welches der Handel gerade erst anfängt auszuschöpfen, dürfte unbestritten sein. Und dabei haben wir noch nicht einmal das untersucht, welches in dem des mobilen Marktes (M-Commerce) steckt.

Die Nutzung von mobilen Retail-Websites ist in den fünf führenden europäischen Märkten (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien) im vergangenen Jahr um 43 Prozent gestiegen. Allein in Deutschland holen sich circa 9,9 Millionen, das sind knapp 28 Prozent aller Smartphone-Besitzer, während des Einkaufsbummels Informationen aus dem Netz und tragen so den Handel übers Internet zurück ins klassische Geschäft (Zahlen aus Textilwirtschaft 44/2013, S. 10).

Da drängt sich eine Frage – im Verlauf unserer Serie schon mehrmals gestellt – förmlich auf: Ist die Trennung zwischen klassischem Handel, E- und M-Commerce überhaupt noch sinnvoll? Sollten wir uns nicht vielmehr fragen, wie wir unsere Kunden zufriedenstellen können – um dann zu entscheiden, welche Kanäle dafür am besten geeignet sind? Im sechsten und letzten Teil unserer Serie „Zukunft des Handels“ werden wir versuchen, darauf zusammenfassend Antworten zu geben.

Illustration: Paul Woods