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Zukunft des Handels, Teil 4: Showrooming

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Im ersten Teil unserer Serie „Zukunft des Handels“ kamen Stimmen zu Wort, die dem stationären Handel den sicheren Tod voraussagen. Es stimmt, dass dessen Zuwachsraten weit unter denen des interaktiven Handels liegen (1,0 Prozent versus 15,6 Prozent 2012). Aber: Geben sich die Retailer so leicht geschlagen? Gibt es für sie wirklich keine Zukunft? Im vierten Teil unserer Serie nähern wir uns einer Antworte auf diese Frage an.

In den USA soll es inzwischen Läden geben, die aus Angst vor Showrooming eine Umkleide-Gebühr von bis zu 50 Dollar verlangen, um nach der Anprobe zu verhindern, dass die Kleidungsstücke online gekauft werden („Is Price-Matching The Answer To Showrooming?“). Beim Kauf im Laden wird die Gebühr erstattet – aber hilft das? Eine Lösung gegen Showrooming ist das natürlich weder kurz- noch langfristig. Die Gefahr bleibt. Einer von fünf Konsumenten betreibt in den USA regelmäßig Showrooming; 96 Prozent aller Smartphone-Besitzer haben es in Zukunft vor, und jeder dritte Showroomer verlässt den Laden tatsächlich ohne Ware und bestellt online.

Vielfach wird versucht, diesen Kampf über den Preis zu gewinnen. Aber kann Price-Matching („Wir unterbieten jeden Preis, wenn Sie dieses Produkt woanders billiger finden!“) die Lösung sein? Nein, denn irgendwann wird die Luft nach unten dünn – und dem, der ausschließlich an der Preisschraube dreht, geht sie irgendwann aus.

Gute alte Tradition: besser sein

Was also kann der stationäre Handel tun, damit die Kunden nicht ins Netz abwandern? Das, was Unternehmen anderer Branchen auch tun, wenn ihnen der kalte Wind des Wettbewerbs ins Geschäft schlägt: besser sein. (Vielleicht ist es auch an der Zeit, die Barriere zwischen Online- und Offline-Handel fallen zu lassen und „den Handel“ als Einheit zu sehen – Gedanken dazu im Abschlussteil unserer Serie.)

Die Regeln sind einfach, nach wie vor: Am Markt besteht, wer etwas kann, was andere nicht können. Wer das besser als andere macht – oder am allerbesten. Dass das klappt, beweisen Retail-Konzepte, die gestern funktioniert haben, die heute funktionieren und die,  aller Voraussicht nach, morgen auch noch funktionieren.

Nehmen wir das traditionsreiche Londoner Kaufhaus Selfridges, das 2012 bereits zum zweiten Mal als Best Department Store der Welt ausgezeichnet wurde. Wie das?

Weil man bei Selfridges verstanden hat, dass Erfolg nicht ausschließlich durch die Optimierung des Umsatzes pro Quadratmeter erreicht wird. Wer als stationärer Händler erfolgreich bleiben möchte, muss eine eigene Kultur entwickeln. Handel muss mehr sein als ein Ort, an dem man Ware erwerben kann. Der Handel muss Mehrwert schaffen, muss dem Kunden Gründe liefern, sich vom Sofa oder Schreibtisch auf den Weg zum Laden zu machen.

**Neue Regel Nummer eins: vom Kunden her denken **

Wer dem stationären Handel den Tod voraus sagt, der vergisst menschliche Bedürfnisse. Wir wollen Geselligkeit, Klatsch und Tratsch, einkaufen bedeutet für viele, ein paar Stunden lang aus dem Alltag in eine Traumwelt einzutauchen und sich von Neuem inspirieren zu lassen. Vielleicht ist es auch die Bühne, die Selfridges Besuchern bietet – damit die samstägliche Suche nach dem modischen Schnäppchen mit der besten Freundin zum Spaziergang wird, der Spaß macht. (Hier findet man unter einem Dach Marken im mittleren Segment wie Primark zusammen mit Chloé und Dior.) Oder weil man es hier versteht, neue Technologien zu nutzen, um das Einkaufserlebnis für den Käufer zu erweitern, anstatt Angst vor ihnen zu haben (Stichwort „Multichannel“).

An zwei Beispielen lässt sich deutlich sehen, wie zeitgemäß und fortschrittlich man bei Selfridges denkt: vom Kunden her.

Im September 2012 wurde The Beauty Workshop eröffnet, eine Fläche im Londoner Flagship-Store, die sich neben der eigentlichen Kosmetikabteilung befindet. Anders als es dort üblich ist, werden die Produkte der verschiedenen Marken im Workshop nicht mehr an getrennten Countern angeboten. Auch sind die Verkäufer auf alle Produkte geschult? Welche Frau schminkt und pflegt sich schon mit Produkten von nur einer Marke. Das i-Tüpfelchen: Alles wird in der Zeit erledigt, die der Kundin zur Verfügung steht. One-Stop-Shopping anstatt selbst alles mühsam und zeitaufwändig an verschiedenen Countern zusammen suchen zu müssen bedeutet: die Lösung für ein Problem, das jede Frau kennen dürfte. Hier wird echter Mehrwert geschaffen. Man sieht deutlich, wie der stationäre Handel mit Beratung und Service gegenüber E-Commerce punkten kann.

Und das Thema Multichannel geht bei Selfridges so: Seit Mai 2013 gibt es den Service „click and collect“. Was bis 16 Uhr online bestellt wurde, kann am nächsten Morgen ab 9 Uhr abgeholt werden. Bei Selfridges behauptet man, so eine schnelle Abholung böte kein anderes Kaufhaus. Ab nächstem Jahr soll es sogar die Möglichkeit geben, die bestellte Ware in einem Drive-thru abzuholen. Bestellen und morgens auf dem Weg zur Arbeit abholen? So schnell ist kein Online-Retailer. Wer die Sache so angeht, braucht wirklich keine Angst vor dem Internet zu haben.

Das Prinzip Tante Emma

Wer sich als Händler den Luxus einer solchen Infrastruktur nicht leisten kann oder für wen sie zu kostenintensiv wäre (Supermarkt), der muss vor dem Thema Multichannel auch nicht zurückschrecken. SAP bietet eine App (SAP Precision Retailing) für mobile Endgeräte. Stammkunden melden sich beim Betreten eines Ladens damit an und werden ab diesem Zeitpunkt von der App betreut. Die App übernimmt , was Tante Emma früher gemacht hat: Wer einen Käse kauft, bekommt den passenden Wein dazu empfohlen. Weil die App die Kaufgewohnheiten kennt, kann sie dem Kunden sogar zum richtigen Zeitpunkt zu einer neuen Zahnbürste raten.

In einem Pilotprojekt des französischen Handelskonzerns Casino konnte SAP nachweisen, dass die Umsätze von Stammkunden mit der App in den Testmärkten um 10 Prozent stiegen. Außerdem stieg die Marge, denn die App legte den Kunden mehr Eigenmarken ans Herz, an denen der Händler besser verdient. Aber hier gilt, wie auch beim Verkäufer aus Fleisch und Blut: Die Beratung wird nur so lange funktionieren wie sie glaubwürdig ist und der Kunde nicht befürchten muss, etwas untergejubelt zu bekommen.

Mehrwert durch Effizienz

Bei Hointer in Seattle nutzt man das Smartphone, um den Kauf von Jeans leichter und schneller zu machen. Man hat identifiziert, was Männer beim Shoppen hassen: die richtige Größe in den meist von anderen Kunden durcheinander gebrachten Stapeln zu finden – und zu warten. An den oft zu kleinen Kabinen und an der Kasse, der einem schweren Ware über dem Arm.

Bei Hointer werden die Jeans  wie in einem Showroom präsentiert. Mit der Hointer-App scannt man die QR-Codes aller Hosen, die man anprobieren möchte. Die App nennt dem Kunden nach dem Klick auf den „Try-on“-Button die Nummer der geräumigen Kabine, in der die angeforderten Jeans schon warten. Die Teile, die man nicht möchte, wirft man in eine Schütte – und die Ware verschwindet sofort im Warenkorb auf dem Smartphone. Die, die man behalten will, bezahlt man mit Karte an einem Terminal auf seinem Weg aus dem Laden. Der Kunde bekommt das, was er möchte schnell und unkompliziert und Hointer selbst spart Kosten, weil das Konzept vergleichsweise wenig personalintensiv ist.

Es ist richtig, dass die Zuwachsraten von E-Commerce die des stationären Handels bei weitem übertreffen. Es muss uns aber auch klar sein, auf welchen Vorlagen das beruht. Der Bereich des stationären Handels ist gesättigter als der des relativ neuen E-Commerce. Deswegen dem stationären Handel den Tod voraus zu sagen, wäre voreilig. Mit den richtigen Konzepten, die Kunden geschätzten Mehrwert bieten, gelingt es dem stationären Handel immer noch, sie in die Läden zu locken.

Bei Hointer nennt man das pointiert „The Revenge of Bricks-and-Mortar“.

Illustration: Paul Woods