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Zukunft des Handels: Kampf oder Konsens?

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Wenn es um den Handel im 21. Jahrhundert geht, treffen extreme Meinungen aufeinander. Die einen glauben, das reale Shopping-Erlebnis im Laden sei durch nichts zu ersetzen. Die anderen sagen dem stationären Handel gar ganz den Tod voraus; die Zukunft gehöre dem E-Commerce. Wie es um den Handel bestellt ist, welche Herausforderungen auf Hersteller und deren Marken, stationäre Händler und E-Retailer zukommen, beleuchten wir in unserer sechsteiligen Serie „Zukunft des Handels“.

1. Stationärer Handel versus E-Commerce

Marc Andreessen kennt sich aus mit dem Netz. Er entwickelte Mitte der Neunziger den ersten Webbrowser Netscape mit und sitzt heute bei Facebook und Ebay im Vorstand. Nun sagt Andreessen dem physischen Einzelhandel das Ende voraus: Schon bald würde alles nur noch online abgewickelt, egal, um welche Art von Ware es sich handelt, so Andreessen gegenüber Sarah Lacy von Pandodaily.com.

Ich selbst gehöre nicht zur Generation der Digital Natives. Ich kann mir zwar vorstellen, dass der interaktive Handel (Summe aus Online- und Versandhandel) immer wichtiger wird, aber nicht ein komplettes Wegsterben des physischen Einzelhandels.

Wie steht es um das Einkaufserlebnis? Wie ist das mit Artikeln, die ich anprobieren muss, um zu sehen, ob sie mir wirklich gefallen und passen?

Ich beschließe den Selbstversuch und bestelle Kleidung bei zwei verschiedenen Anbietern. In Deutschland gibt es keinen, der mir gefällt. Ich finde einen mit Sitz in Manchester und einen in Malmö.

Mein Einkaufserlebnis wird durch Überblick ersetzt. Ich kann mir ganz in Ruhe am Sonntagnachmittag das – weltweite! – Angebot anschauen, Preise vergleichen – und finde sogar das Sweatshirt in der Farbe, die es in dem Laden bei mir um die Ecke nicht mehr gab.

Das Paket aus Manchester wird mit DHL geliefert, die Zustellung läuft problemlos. Das Paket aus Schweden kommt ein paar Tage später per Fedex. Ich bin nicht zuhause und der Kurier nimmt das Paket wieder mit. Ich rufe bei der Hotline an. Das Paket zu einer anderen Adresse umzuleiten ist umständlich; es klappt aber schließlich.

Von den insgesamt zehn Teilen (Hemden, T-Shirts, Hosen und Mütze) gefallen mir zwei: eine Hose und die Mütze. Der Rest gefällt oder passt mir nicht und muss zurückgeschickt werden. Mein anfänglicher Enthusiasmus schwindet, ich bin enttäuscht. Allerdings ist der Retouren-Prozess zum Store in England ganz einfach online abzuwickeln und man hat 28 Tage Zeit.

Um die nicht gewünschte Ware nach Schweden zurückzuschicken, habe ich nur 14 Tage Zeit. Der Hinweis darauf auf der Website des Anbieters ist knapp und unfreundlich. Man solle die für mich umständliche Variante über Fedex benutzen, alles andere wäre nicht versichert und man übernehme keine Rückgabegarantie, wenn die Ware zu spät eintrifft. Ich habe keine Wahl, entscheide mich trotzdem für DHL – und in der Tat: Mein Paket braucht recht lange zurück nach Schweden, und ich verpasse fast die Rückgabefrist. Für jedes Retourenpäckchen zahle ich 17 Euro, insgesamt also 34 Euro.

Sieht so meine Zukunft als Kunde aus – umständliches Hin und Her und wenn mir die Sachen nicht passen, dann zahle ich drauf?

Eine Faustregel im interaktiven Handel lautet: Je näher das bestellte Produkt am Körper ist, desto höher die Rückgabequote. Am häufigsten schicken Kunden im interaktiven Handel tatsächlich Kleidung und Schuhe zurück. Die Quote liegt in Deutschland (Stand Oktober 2012) bei knapp 29 Prozent.

Beim deutschen Vorzeige-Retailer Zalando scheint das niemanden zu stören. Die Kosten für Rücksendungen trägt hier der Händler selbst – und das könne man verkraften, sagt Geschäftsführer Rubin Ritter: „Die Retourenquote liegt bei zirka 50 Prozent. Das ist Teil des Geschäftsmodells, das ist im Businessplan einkalkuliert.“

Auch die Zalando-Kunden scheinen den Retourenprozess als notwendiges Übel in Kauf zu nehmen. In einem Kundenzufriedenheitsranking belegt Zalando 2012 unter den Textilhändlern in vier von zehn Kategorien Platz eins und der Umsatz hat sich von 510 Millionen Euro im Jahr 2011 auf 1,15 Milliarden Euro 2012 mehr als verdoppelt (exklusive Retouren).

Nun sind Klamotten auch nicht alles, und dass sich Produkte wie Musik und Bücher hervorragend online verkaufen lassen, wissen wir. Man braucht noch nicht einmal mehr „händische“ Informationsträger wie Papier oder CDs. Auch die Zahlen sprechen hier für eine rasante Entwicklung in Richtung E-Commerce.

Das Wachstum im interaktiven Handel liegt laut bvh (Bundesverband des Deutschen Versandhandels) bei 15,6 Prozent (2012). Die Branche realisiert einen Gesamtumsatz von 39,3 Milliarden Euro.

Dabei entfallen über 70 Prozent des Umsatzes auf das Online-Geschäft. Von 2011 auf 2012 verbucht der E-Commerce eine Umsatzsteigerung von 27,2 Prozent auf 27,6 Milliarden Euro.

Und – zu meiner persönlichen Überraschung – ist der größte Umsatzbringer im interaktiven Handel (im Jahr 2012) tatsächlich die Warengruppe Bekleidung. Deren Umsatzvolumen liegt bei insgesamt 10,78 Milliarden Euro, was einem Plus von 11 Prozent zum Vorjahr entspricht.

In schon vier Jahren soll die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts in irgendeiner Weise über das Internet abgewickelt werden, prognostiziert der eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft.

Zum Vergleich: Im Moment wachsen laut GfK die Ladenumsätze um 1 Prozent (Ergebnis 2012).

Vor allem für Güter, die leicht zu vergleichen sind, weil sie identisch sind oder ähnliche, vom Händler unabhängige Eigenschaften besitzen oder sich vor allem über den Preis verkaufen, sieht es schlecht aus.

„Showrooming“ ist der Schreck jedes Einzelhändlers: Ladengeschäfte werden von vielen Kunden nur noch besucht, um Ware zu begutachten. Die Preise werden dann online verglichen und direkt auf dem Smartphone beim günstigsten Anbieter nach Hause bestellt. So entsteht ein quasi-transparenter Markt, in dem kaum noch Geld zu verdienen ist.

Dazu kommt, dass jede Einheit, die über einen interaktiven Kanal gekauft wird, die Skaleneffekte für den stationären Handel negativ beeinflusst. Das gefährdet die sowieso schon knappen Margen oder hat Preiserhöhungen zur Folge. Dieser Teufelskreis wird zusätzlich durch die Kosten verstärkt, die für einen E-Retailer gar nicht oder in geringerem Maße anfallen: Miete und Lagerhaltungskosten.

Und wer jetzt anführt, dass online das Shoppingerlebnis wegfällt, der Spaß und der soziale Aspekt, dem entgegnet Andreessen, dass es nach und nach durch clevere Ideen wie Flash Sales und den Abonnement-Handel ersetzt wird. „Malls are going under“, sagt er.

Natürlich verfolgt Andreessen als Vorstandsmitglied von Facebook und Ebay ein nicht zu unterschätzendes Eigeninteresse, den stationären Handel totzusagen. Doch wer als Einzelhändler schläft, den dürfte es bald erwischen. Denken wir an Hertie, einen etablierten Namen, der schon aus unserem Straßenbild verschwunden ist.

Wir alle wissen: Um im 21. Jahrhundert bestehen zu können, muss der stationäre Einzelhandel mehr sein als ein Ort, an dem man Produkte erwirbt. Wie das aussehen kann, damit wollen wir uns in unserer Serie „Zukunft des Handels“ weiter beschäftigen. Aber auch für den interaktiven Handel gibt es Herausforderungen: Wie präsentiere ich meine Ware, um meine Retourenquote so minimal wie möglich zu halten und was passiert in einem transparenten Markt, wenn ich auch nur einen Cent teurer bin als meine Wettbewerber? Wichtige Fragen.

Lesen Sie bald mehr: Egal wo oder über welches Medium Sie verkaufen, als Händler müssen Sie Mehrwert für Ihre Kunden schaffen. Wie Ihnen das gelingen kann, hängt davon ab, ob sie physischer Händler, E-Retailer oder beides sind. Unsere Handlungsempfehlungen richten sich deshalb danach, an welcher Stelle der Wertschöpfungskette sich ein Händler befindet.

Die Zukunft des Handels
1. Stationärer Handel versus E-Commerce
2. Bingo! Wenn ich Hersteller und Händler in einem bin
3. Wie ich als Marke den Handel unterstützen kann
4. Stationärer Handel: Was tun?
5. E-Retailer: Warum man vielleicht doch einen Laden braucht
6. Die Mischung macht’s – ein Ausblick


Zusammenfassung der Daten und Fakten:

Das Wachstum im interaktiven Handel lag laut bvh (Bundesverband des Deutschen Versandhandels) 2012 bei 15,6 Prozent. Die Branche realisierte einen Gesamtumsatz von 39,3 Milliarden Euro. Auch der Anteil am gesamten Einzelhandel stieg auf den neuen Rekordwert von 9,2 Prozent (Vorjahr 8,2 Prozent).

Dabei entfielen über 70 Prozent des Umsatzes auf das Online-Geschäft. Von 2011 auf 2012 wurde im E-Commerce eine Umsatzsteigerung um 5,9 Milliarden Euro auf 27,6 Milliarden Euro realisiert. Das entspricht einem prozentualen Wachstum von 27,2 Prozent.

Der größte Umsatzbringer im interaktiven Handel war 2012 die Warengruppe Bekleidung mit einem Umsatzvolumen von 10,78 Milliarden Euro; dies entspricht einem Plus von 11 Prozent zum Vorjahr.

Platz zwei belegt die Kategorie Unterhaltungselektronik/Elektronikartikel, in der 4,08 Milliarden Euro umgesetzt wurden: ein Plus von 25 Prozent gegenüber 2011. An dritter Stelle rangieren Bücher mit 2,59 Milliarden Euro Umsatz. Dies entspricht einem Wachstum von erfreulichen 10 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Jahr.

Prognose 2013:

Der Erfolg des vergangenen Jahres könnte sich 2013 fortsetzen. Aktuell schätzt der bvh das Umsatzwachstum auf 10,6 Prozent beim gesamten interaktiven Handel. Das E-Commerce-Volumen wird 2013 voraussichtlich um 21,3 Prozent wachsen. In schon vier Jahren soll die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts in irgendeiner Weise über das Internet abgewickelt werden, prognostiziert der eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft.