Interviews

Nicht irgendwo: 3 Fragen an Andrea Franke

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Andrea sieht man mit aufgeklapptem Laptop (und in graziösesten Haltungen) überall bei uns im Büro; gleichzeitig geht sie den Gang entlang, tippt, telefoniert, tauscht sich mit Kollegen aus: ruhig, freundlich und offen nach allen Seiten. Von Überraschungen lässt sie sich nicht beirren. Von plötzlichen Fragen auch nicht – ScrumMaster halt.

1. Andrea, wo kommst du her?

„Also lokal komme ich aus Potsdam. Und ausbildungsmäßig aus den Kulturwissenschaften.“ Laptop auf, blitzschnelles Tippen: „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis, so hieß der erste Studiengang. Dann Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus.“

Laptop zu. War das wohl schon immer klar? „Ich habe schon immer gerne geschrieben, aber was mich interessiert, ist, wie man das Ganze organisiert. Die Kulturvermittlung noch mehr als das Selbermachen.“

Ein Beispiel? „Ich habe die BELLA triste mit herausgegeben und das Literaturfestival Prosanova in Hildesheim organisiert. Das künstlerische Programm haben wir zusammen gemacht, die Kassenwartin war ich und habe für den Verein die Gelder akquiriert: Fördergelder im sechsstelligen Bereich, von diversen Stiftungen.“

Nebenbei? „Ja, das war neben dem Studium. Meine Diplomarbeit hieß ,Ereignismaschinen’, nein halt, ,Affektmaschinen – Autorenlesungen in der Erlebnisgesellschaft‘. Der Begriff ,Erlebnisgesellschaft‘ stammt von einem Soziologen, Gerhard Schulze.“ (Hier folgt ein längerer Diskurs.)

2. Wie bist du von dort zu ESPI gekommen?

„Während ich noch geschrieben habe, kam ein Anruf von Kommilitonen aus Berlin, die jemanden suchten, der bei der Existenzgründung ihres Start-ups hilft. Also habe ich schneller geschrieben, nicht noch die drei geplanten Monate, und Diplom gemacht. Dann war ich plötzlich Admin und Finanzen. Das war quasi meine Start-up-Berlin-Internet-Szene-Erfahrung ... mit den typischen Start-up-Krankheiten: Produktunklarheiten, Selbstverliebtheiten ... aber da habe ich Luki kennengelernt (Lukas Hodel, Web Developer bei uns im Team), der später hier anfing und immer erzählt hat, dass es so schön sei hier, so angenehm hier zu arbeiten, so Spaß macht ...“

Sie stockt: „Das habe ich nie begriffen, wie Leute in Unternehmen das nicht merken: Wie wichtig es ist, wie deine Mitarbeiter über dich sprechen. Das ist doch die beste Werbung, die du haben kannst. Wenn deine Leute darüber reden.“

Sie redet sich in Fahrt (soweit man das bei ihrer ruhigen Art so nennen kann): „Es ist mir wichtig, in einem Unternehmen zu arbeiten, dessen Werte ich teile. Nicht irgendwo, wo ganz viel Sinnlosigkeit herrscht. Ich wollte mit klugen Leuten zusammenarbeiten, die ungefähr die gleichen Grundsätze haben wie ich.“

„Und ,Agile‘ mag ich aus ganz vielen Gründen. Natürlich auch, weil es darum geht, schnelle Dinge im kleinen Rahmen auszuprobieren, und wenn es nicht geht, eben etwas anderes. Es ist eine sehr menschliche Art der Arbeit; es geht ja auch um arbeitsethische Grundsätze, wie man seinen Arbeitsraum gestaltet, sein Umfeld. Es geht um die Arbeits_organisation_ – dass man so arbeiten soll, dass man es länger ,aushält‘, anti Burn-out; gerade in der Software-Welt ist das wichtig. In einer haltbaren Geschwindigkeit arbeiten, und in einem Maß. Das Team legt fest, was das Team schafft, und wann. Das ist alles darauf ausgelegt, nachhaltig zu arbeiten. Das hört sich jetzt so gefühlig an, aber es geht auch um den Business-Effekt. Sonst gehen die Leute nach zwei Jahren. Mit all ihrem Know-how, nachdem man in sie investiert und etwas aufgebaut hat.“

Zurück zur Frage. „Ja, das war der Luki, wie er immer wieder darüber geredet hat. Natürlich wollte ich im Digitalen bleiben, und agile arbeiten. Nach ersten Erfahrungen mit agiler Software-Entwicklung und Lean Management wusste ich: So möchte ich arbeiten. Hier ist das so, auch die Flexibilität. Ich hab damals Luki gefragt, ob ihr so was braucht wie einen PM, und ein Mail an Michael geschrieben (Michael Börner, Account Director bei uns im Team). Er hat jemanden gesucht, der sich als ScrumMaster weiterbilden möchte.“

„Das hat sehr perfekt gepasst.“ Das sagt sie ganz sachlich. „Ja, ich hatte eine Entscheidung getroffen, in der Wirtschaft zu bleiben. Weil die Kulturbranche wahnsinnig frustrierend ist. Nicht nur weil kein Geld da ist, sondern weil die Mühlen so langsam mahlen, bei den Institutionen, wo Geld da ist.“

3. Wie verstehst du deine Aufgabe als PM?

„Ich sehe mich ja eher als ScrumMasterin denn als Projektmanagerin auf klassischen Projekten – meinem Team in allen Bereichen eine Umgebung zu schaffen, in der alle bestmöglich arbeiten können. Das ist dann nicht im Sinne von ,jemandem sagen, was er zu tun hat‘, oder festzulegen, wann. Es gibt aber Sachen, da können sie sich nicht darum kümmern; und meine Aufgabe ist es, mein Team zu beschützen. Beschützen in die eine, vermitteln in die andere Richtung. Nach innen und außen.“

Sie führt das näher aus und verweist auf Theoretiker und Praktiker dahinter, auf die Mentorenrolle des ScrumMasters, das Selbstverständnis als Servant Leader (längerer Diskurs). 

„Oder ich gehe zu Pia und sage, dass Olli da hinten sitzen muss, bei Matt, damit er beim Team ist. Oder auch Croissants mitbringen, wenn es ein Treffen gibt. Alles. Ich muss dem Auftraggeber auch erklären, wann was nicht geht. Zum Beispiel indem ich sage: Wenn wir gestern alles in den Eimer gepackt haben, und der Eimer ist voll, und jetzt willst du noch mehr haben – an Aufgaben, an Ergebnissen – dann müssen wir entweder etwas aus dem Eimer herausnehmen oder du musst dir einen größeren Eimer kaufen, in den wir mehr hineinpacken können.“

Und wie hat er reagiert?

„Er will einen größeren Eimer haben.“

Wenn sie nicht arbeitet, fährt Andrea gerne weg, am liebsten nach Spanien, und ist überhaupt sehr gern draußen. „Seit ich arbeite, unterscheide ich viel bewusster und probiere aus, die Zeit, die ich nicht arbeite, etwas ganz anderes zu machen.“ Andrea ist erst Ende letzten Jahres bei uns eingestiegen, zunächst frei, seit April fest. So schnell ist daraus „etwas Ernsteres“ geworden.

Lieben Dank, Andrea!

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Foto: Alvaro Castañón Huamán de los Heros

PS:
Is Your Scrum Master a Servant Leader?
Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft (2005), Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt: Campus (2. Auflage, Original 1992
BELLA triste – Zeitschrift für junge Literatur